Europäischer Gerichtshof: Deutsche Schenkungsteuer teilweise unvereinbar mit der europäischen Kapitalverkehrsfreiheit — Urteil vom 8. Juni 2016, C-479/14 (Hünnebeck)
In seinem Urteil in der Rechtssache Hünnebeck hat der EuGH das deutsche Schenkungsteuerrecht teilweise für unvereinbar mit der europäischen Kapitalverkehrsfreiheit erklärt.
Was war passiert?
Das Verfahren begann vor dem Finanzgericht Düsseldorf. Geklagt hatte eine deutsche Staatsangehörige, die seit 1996 ebenso wie ihre zwei Töchter (Jahrgang 1995 und 1997) ununterbrochen in Großbritannien lebte. Die Klägerin war zu 1/2 Miteigentümerin an einem Grundstück in Düsseldorf. Diesen Miteigentumsanteil hatte sie im Jahr 2011 jeweils zur Hälfte ihren beiden Töchtern geschenkt und sich verpflichtet, auch die anfallende Schenkungsteuer zu tragen. Das zuständige Finanzamt berücksichtigte bei der Berechnung der Steuer einen Freibetrag von € 2.000.
Deutsche die länger als fünf Jahre ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, sind nach § 2 ErbStG in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtig im Hinblick auf die Erbschafts- und Schenkungssteuer. Die Besteuerung beschränkt sich in dem Fall auf das Inlandsvermögen, also das Vermögen in Deutschland. Das Grundstück der Klägerin lag in Deutschland, weshalb die Schenkung des Grundstücks an ihre Töchter von der deutschen Schenkungsteuer erfasst wurde. Als beschränkt Steuerpflichtiger hat man jedoch nicht die umfangreichen Freibeträge (€ 400.000 beim Erwerb von einem Elternteil), die ein unbeschränkt Steuerpflichtiger hat. Den Töchtern der Klägerin wurde vom Finanzamt nach § 16 Abs. 2 ErbStG daher nur ein Freibetrag von € 2.000 zugebilligt.
Nach § 2 Abs. 3 ErbStG besteht die Möglichkeit auf Antrag insgesamt als unbeschränkt steuerpflichtig (Freibetrag im vorliegenden Fall dann statt € 2.000 € 400.000) behandelt zu werden, wenn der Erblasser, der Schenker oder der Erwerber seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem EWR-Staat hat. Wird ein solcher Antrag gestellt, werden die Freibeträge für unbeschränkt Steuerpflichtige zugrunde gelegt. Jedoch werden sämtliche von derselben Person anfallenden Erwerbe (durch Schenkung oder Erbschaft) in den letzten zehn Jahren vor und den zehn Jahren nach der betreffenden Schenkung/Erbschaft zusammengerechnet und insgesamt als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt. Somit ergibt sich ein Zeitraum von 20 Jahren in denen sämtliche Erwerbe zusammengerechnet werden und der Erbschafts- bzw. Schenkungsteuer unterfallen. In diesem Zeitraum kann nur einmal der Freibetrag abgezogen werden. Bei einer rein innerdeutschen Schenkung oder Erbschaft werden dagegen nur Erwerbe aus den zehn Jahren vor der betreffenden Schenkung oder Erbschaft hinzugerechnet (§ 14 ErbStG).
Die Klägerin war der Meinung, dass dies eine Ungleichbehandlung ist, die dem europäischen Recht widerspricht, weshalb sie den Antrag nach § 2 Abs. 3 ErbStG nicht gestellt hat und gegen den Steuerbescheid, in dem nur ein Freibetrag von €2.000 abgezogen worden ist, gerichtlich vorgegangen ist. Die Frage, ob ein Freibetrag von nur € 2.000 bzw. infolge eines Antrags nach § 2 Abs. 3 ErbStG der Freibetrag eines unbeschränkt Steuerpflichtigen unter Zusammenrechnung aller Erwerbe in einem Zeitraum von 20 Jahren mit europäischem Recht vereinbar ist, ist vom zuständigen Finanzgericht Düsseldorf dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt worden.
Was sagt der EuGH?
Der EuGH hat der Klägerin recht gegeben. Die Regelung im deutschen Erbschafts- und Schenkungsteuergesetz widerspreche der europäischen Kapitalverkehrsfreiheit aus Art. 63 Abs. 1 AEUV.
Zwar könne ein beschränkt Steuerpflichtiger durch einen Antrag nach § 2 Abs. 3 ErbStG den Nachteil des deutlich niedrigeren Freibetrages ausräumen, jedoch gewähre ihm dies keine völlige Gleichstellung mit unbeschränkt steuerpflichtigen Inländern. Für diese werden nach § 14 ErbStG lediglich die Erwerbe in den zehn Jahren vor dem fraglichen Erwerb hinzugerechnet und der Berechnung der Erbschafts- bzw. Schenkungsteuer zugrunde gelegt. Schenkungen oder Erbschaften nach dem fraglichen Erwerb bleiben unberücksichtigt. Der für beschränkt Steuerpflichtige infolge eines Antrags nach § 2 Abs. 3 maßgebliche Zeitraum für die Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe ist jedoch mit insgesamt 20 Jahren doppelt so lang. Darüber hinaus kann zum Zeitpunkt des Erbfalls oder der Schenkung noch nicht vorhergesehen werden, welche weiteren Erwerbe in den nächsten zehn Jahren hinzukommen; dies macht den Vorgang für den Steuerpflichtigen unkalkulierbar.
"Unter diesen Umständen ist [...] festzustellen, dass hinsichtlich der Länge des der Zusammenrechnung von Schenkungen zugrunde gelegten Zeitraums, der bei Anwendung des höheren Freibetrags berücksichtigt wird, die ungünstigere steuerliche Behandlung von Schenkungen unter Gebietsfremden im Vergleich zu Schenkungen unter Beteiligung zumindest eines Gebietsansässigen eine grundsätzlich nach Art. 63 Abs. 1 AEUV untersagte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt."
Auch Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV ändert nach Ansicht des EuGH an dieser Unvereinbarkeit nichts. Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV erlaubt den Mitgliedstaaten, „die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln“. Zu unterscheiden sei zwischen den nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV erlaubten Diskriminierungen und nach Abs. 3 dieses Artikels verbotenen willkürlichen Diskriminierungen. Eine diskriminierende Steuerrege-lung eines Mitgliedstaates könne nur dann mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar sein, wenn die unterschiedliche Behandlung Situationen betrifft, die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Beides liege hier nicht vor.
Leitsatz des Gerichts
"Die Art. 63 AEUV und 65 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach bei Schenkungen unter Gebietsfremden die Steuer unter Anwendung eines niedrigeren Steuerfreibetrags berechnet wird, wenn der Erwerber keinen spezifischen Antrag stellt. Diese Artikel stehen auch und auf jeden Fall einer nationalen Regelung entgegen, wonach die Steuer auf Antrag eines solchen Erwerbers unter Anwendung des höheren Freibetrags berechnet wird, der für Schenkungen unter Beteiligung zumindest eines Gebietsansässigen gilt, wobei die Wahrnehmung dieser Option durch den gebietsfremden Erwerber bewirkt, dass für die Berechnung der Steuer auf die betreffende Schenkung alle Schenkungen, die dieser Schenkungsempfänger in den zehn Jahren vor und den zehn Jahren nach der Schenkung von derselben Person erhalten hat, zusammengerechnet werden."