EU-Erbrechtsverordnung

Für alle Erbfälle ab dem 17. August 2015 wurde das im Bereich des Erbrechts geltende internationale Privatrecht vereinheitlicht. In ganz Europa gilt daher insoweit das selbe Recht. Dies führt zu weitreichenden Neuerungen und Vereinfachungen bei grenzüberschreitenden Erbfällen.

Überblick

  • anwendbar auf alle Erbfälle ab dem 17. August 2015
  • Domizilprinzip
  • beschränkte Rechtswahl zugunsten des Heimatrechts
  • Grundsatz der Nachlasseinheit
  • Anwendbarkeit nicht nur im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander sondern auch zu Drittstaaten
  • Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit der Gerichte und Erbstatut
  • grds. keine Rück- oder Weiterverweisungen (außer bei Drittstaaten)
  • Europäisches Nachlasszeugnis

Problemkreise

  • gewöhnlicher Aufenthalt?
  • Rechtswahl
  • Rück- und Weiterverweisungen bei Drittstaatenbezug
  • Pflichtteilsrecht
  • Konflikt Erbrecht -- Güterrecht
  • Konflikt Erbrecht -- Gesellschaftsrecht
  • Nachweis der Erbfolge: Europäisches Nachlasszeugnis

Allgemeine Kollisionsnorm Art. 21, 22 EUErbVO

  • Rechtsnachfolge von Todes wegen unterliegt dem Recht des Staates in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte
  • Ausweichklausel: Gesamtumstände ergeben, dass Erblasser offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat hatte
  • Möglichkeit der Rechtswahl des Erblassers zugunsten seines Heimatrechts

Grundgedanke

  • Grundsatz der Nachlasseinheit
  • Nachlassspaltung nur noch bei nach Art. 34 EUErbVO beachtlichem Renvoi durch abweichendes IPR des Aufenthaltsstaates (Drittstaat) oder nach Art. 30 EUErbVO beachtlichen Sonderregelungen (Nachfolgeregelungen in landwirtschaftliche Güter)

Gewöhnlicher Aufenthalt

Grundsatz

  • Begriff ist autonom auszulegen
  • Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers -- insbes. soziale und familiäre Integration
  • gewisse Beständigkeit und Regelmäßigkeit
  • objektive und subjektive Kriterien
  • Bleibewille erforderlich? EuGH (+) (EuGH, 22.12.2010, Rs. C--497/10 PPU (Mercredi) Rn. 51)

Gewöhnlicher Aufenthalt - Zweifelsfälle

Beispiel 1: Auslandsstudium

Studentin S nimmt am Sokrates-Erasmus-Stipendienprogramm der EU teil und wechselt für ein Jahr von ihrer Heimatuniversität Münster an die Universität Poitiers in Frankreich. S spricht fließend Französisch und ist schnell in die dortige Studentengemeinde integriert. Zu ihren Kommilitonen gehören französische wie andere ausländische Studenten aus der ganzen Welt. Nach einigen Monaten geht sie eine Beziehung mit einem französischen Kommilitonen ein. Gleich nach ihrer Rückkehr aus Frankreich möchte S mit der Vorbereitung auf ihr erstes juristisches Staatsexamen beginnen.

  • Aufenthalt idR nicht auf Dauer angelegt
  • keine mit Herkunftsland vergleichbare soziale und familiäre Integration
  • kein Vermögen von Gewicht im Aufenthaltsstaat
  • keine möglichen Erben im Aufenthaltsstaat

Beispiel 2: Beruflicher Auslandsaufenthalt I

M ist Mitarbeiterin eines großen deutschen Industrieunternehmens und arbeitet seit vier Jahren an einem Standort in Dänemark. M hat sich auf den Auslandsaufenthalt in Dänemark eingelassen, um ihre Karrierechancen im Konzern zu verbessern. Langfristig möchte sie nach Deutschland zurückkehren. Die Arbeitskollegen kommen aus aller Herren Länder, Umgangssprache am Standort ist Englisch. Zu Dänen unterhält M nur Kontakte, wenn diese Arbeitskollegen sind. M spricht kein Dänisch. Für medizinische Behandlungen fährt sie in der Regel nach Deutschland. Ihre privaten Bankgeschäfte wickelt sie über deutsche Banken ab.

  • Rückkehrwille
  • konkrete Rückkehr ungewiss -- ggfs. irgendwann kein ernsthafter Rückkehrwille mehr vorhanden
  • kaum Integration
  • Vermögen überwiegend in Deutschland

Beispiel 3: Beruflicher Auslandsaufenthalt II

C ist Mitarbeiter eines deutschen Logistikunternehmens und arbeitet seit drei Jahren in China. C hat schon als Student Chinesisch gelernt und mehrere Praktika in China absolviert. Er arbeitet in einem internationalen Team hat aber auch viele berufliche und private Kontakte zu Chinesen. Gleichwohl ist C auch in die deutsche Gemeinde, die sich in der Stadt formiert hat, integriert. Sein Aufenthalt in China ist auf unbestimmte Zeit angelegt, eine baldige Rückkehr nach Deutschland kann er sich derzeit nicht vorstellen. C ist Eigentümer sowohl einer Wohnung in Deutschland als auch einer in China. Vor einem halben Jahr hat C seine chinesische Freundin nach chinesischem Recht geheiratet.

  • derzeit kein Rückkehrwille
  • konkrete Rückkehr ungewiss
  • gute Integration -- familiäre Bindungen im Aufenthaltsland
  • Vermögen auch im Aufenthaltsland

Beispiel 4: Grenzpendler

A wohnt in Aachen fährt aber seit Jahren täglich zur Arbeit in ein Architekturbüro in Belgien. Sie ist verheiratet und hat einen fünfjährigen Sohn, der in Aachen in den Kindergarten geht und nachmittags von den Eltern von A betreut wird. Ihr Mann arbeitet bei der Stadtverwaltung Aachen.

  • im Verhältnis von beruflichen und familiären Beziehungen sind letztere maßgeblich (Erwägungsgründe 23 und 24)

Beispiel 5: Weltenbummler

P ist Professor für Physik und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Seine Karriere als international anerkannter Wissenschaftler startete er an der TU München. Anschließend lehrte er mehrere Jahre in Stanford/Kalifornien und wechselte dann nach Harvard/Massachusetts. Zwischenzeitlich unterhielt er verschiedene Gastprofessuren unter anderem in Kapstadt, Tokio und Melbourne. Seine Karriere möchte er in Europa beenden; den Wechsel nach Paris bereitet er gerade vor. Seine Ehefrau und seine zwei Kinder haben ihn stets begleitet. P ist Eigentümer seines Elternhauses am Tegernsee, das er vermietet hat und einer Wohnung in Kalifornien, in der er sich gelegentlich aufhält.

  • keine eindeutige Zuordnung von Beruflichem und Privatem
  • wechselnder Aufenthaltsort
  • Schwerpunktbetrachtung: ggfs. Staatsangehörigkeit als Kriterium, wenn zumindest gelegentlicher Aufenthalt dort; Sprachkenntnisse

Rechtswahl Art. 22 EUErbVO

  • Rechtswahl zugunsten des Heimatrechts
  • in Form einer Verfügung von Todes wegen
  • auch konkludente Rechtswahl möglich
  • Anerkennung auch wenn schon vor Anwendbarkeit der VO getroffen (Art. 83 Abs. 2 EUErbVO)
  • gegenständlich beschränkte Rechtswahl (wie in Art. 25 Abs. 2 EGBGB) nicht mehr zulässig

Rück- und Weiterverweisungen, Art. 34 Abs. 1 EUErbVO

  • Anwendung des Rechts eines Mitgliedstaates, wenn Rück- oder Weiterverweisung im IPR eines Drittstaates, das nach EUErbVO anwendbar ist (Art. 34 Abs. 1 lit.a EUErbVO)
  • Anwendung des Rechts eines Drittstaates, wenn Rück- oder Weiterverweisung im IPR eines anderen Drittstaates, das nach EUErbVO anwendbar ist und der Staat auf dessen Recht verwiesen wird, sein eigenen Recht anwendet (Art. 34 Abs. 1 lit.b EUErbVO)

Pflichtteilsrecht

  • Pflichtteilsrecht unterfällt der EUErbVO, da erbrechtlich zu qualifizieren
  • Rechtswahl ermöglicht prinzipiell Umgehung von Pflichtteilsberechtigten, aber Rechtswahl beschränkt auf Wahl des Heimatrechts -- Umgehungsmöglichkeiten gering

Konflikt von Erbrecht und Ehegüterrecht

  • EUErbVO nicht auf "Fragen des ehelichen Güterrechts"anwendbar (Art. 1 Abs. 2 lit d EUErbVO)
  • Problem: Welche Rechtsinstitute werden güterrechtlich, welche erbrechtlich qualifiziert? (Beispiel: §  1371 Abs. 1 BGB)

Konflikt von Erbrecht und Gesellschaftsrecht

  • praktisch sämtliche Fragen des Gesellschaftsrechts sind von EUErbVO ausgenommen (Art. 1 Abs. 2, lit h, i, l EUErbVO)
  • grundsätzlich Vorrang des Gesellschaftsrechts

Zuständigkeit der Gerichte Art. 4--19 EUErbVO

  • allgemeiner Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers
  • Möglichkeit der Rechtswahl durch Erbprätendenten (Art. 5--9 EUErbVO)

Europäisches Nachlasszeugnis

  • Zuständigkeit der Gerichte, die für die Erbsache zuständig sind
  • Nutzung eines Formblattes, um einheitlichen Inhalt zu gewährleisten
  • umfassende Auflistung der Rechte und Vermögenswerte der Erben und Vermächtnisnehmer
  • Angabe von etwaiger Testamentsvollstreckung bzw. Nachlassverwaltung
  • Angaben über etwaige Eheverträge
  • Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit
  • Gutglaubenswirkung
  • Registerwirkung
  • Antragsteller erhält nur Ausfertigung, kein Original
  • auf sechs Monate begrenzte Wirkung

Inlandswirkung des Europäischen Nachlasszeugnisses

  • Subsidiarität -- keine Verdrängung nationaler Erbnachweise (Art. 62 Abs. 3 S. 1 EUErbVO)
  • Verwendung nicht zwingend vorgeschrieben (Art. 62 Abs. 2 EUErbVO)
  • unklar, ob neben Europ. Nachlasszeugnis zusätzlich nationaler Erbnachweis ausgestellt werden darf (Gefahr sich widersprechender Nachlasszeugnisse)